Letztes Update: 31. Oktober 2023, 10:54
Am RhB-Bahnhof Zernez beginnt mit der Liniennummer 90.811 eine der landschaftlich schönsten Buslinien der Schweiz, nämlich jene durch den Schweizerischen Nationalpark und über den Ofenpass ins Münstertal. Während im Sommer der Nationalpark und die dazugehörigen Wanderwege grosse Menschenmassen anziehen, ist der Fahrplan im Winter stark ausgedünnt, und nur wenige Reisende sind vom RhB-Zug in den bereitstehenden Integro von PU Terretaz, Zernez, umgestiegen.
Ziel der Reise ist der Bahnhof von Mals, bzw. Malles Venosta, wie das Dorf seit der Italianisierung nach dem 1. Weltkrieg und dem damit zusammenhängenden Übergang des Südtirols von Österreich an Italien heisst. Seit 5.5.2005 fährt von hier nach jahrzehntelanger Pause wieder ein Zug ins zwei Stunden entfernte Meran, was auch der Grund für die Verlängerung der Buslinie Zernez – Müstair bis hierhin war. Nach wenigen Jahren war das Fahrgastaufkommen so stark gestiegen, dass zusätzliche Kurse eingeführt und neu auch Umläufe ab/nach Mals eingeplant wurden. So sind heute die gelben Postautos ganztags ein Farbtupfer unter den (derzeit gerade) grau-grünen Fahrzeuge des Südtiroler Verkehrsverbundes.
Im Südtirol bedienen die Busse zwei weitere Ortschaften: Erster Zwischenhalt ist Glurns, ein historisches Städtchen unweit des gleichnamigen Bahnhofs Schluderns-Glurns – und aufgrund der engen Strassengeometrie stets eine Herausforderung für die Chauffeure.
Glurns ist auch ins Malser «Citybus»-System eingebunden, ein System aus zwei Kleinbus-Durchmesserlinien im Stundentakt. Danach überwinden die Postautos eine erste Steilstufe und erreichen Taufers, die einzige südtiroler Gemeinde im Münstertal. Auf diesem Abschnitt ist das Postauto die einzige Verbindung und voll in den Tarifverbund eingebunden. Der Bus hat das langgezogene Dorf verlassen und rollt nun in Richtung Zoll…
…um danach das nahe gelegene Müstair zu erreichen (der deutschsprachige Name Münster wird heute kaum noch verwendet). Das Dorf ist Hauptort des Val Müstair und einer von zwei noch verbliebenen Schulstandorten. Bis 2005 endeten an der Grenze zu Italien sämtliche PostAuto-Kurse; daneben gibt es weitere Haltestellen im Dorf. Direkt neben der Haltestelle Clostra Son Jon befindet sich das gleichnamige Kloster, welches heute zum Unesco-Weltkulturerbe gehört.
Es folgt die recht enge Ortsdurchfahrt von Müstair, welche seit einigen Jahren kaum noch Verkehr aufweist – der Durchgangsverkehr führt heute über eine «Light-Umfahrung», welche in Form einer Erschliessungsstrasse bereits bestand und welche durchgehend zwei Spuren aufweist. Seit beim Kloster keine Möglichkeit mehr besteht, eine Ausgleichszeit abzuwarten, stehen die Busse bei wenig Verkehr einige Minuten bei der Post – im Bild der letzte Abendkurs, welcher nur am Donnerstag, Freitag und Sonntag verkehrt und als einziger passquerender Kurs nicht durch PU Terretaz, Zernez, sondern durch den lokalen PU Bus Val Müstair, Lü, gefahren wird.
Das folgende Dorf, Santa Varia Mal Müstair, ist zwar kleiner, aufgrund der Abzweigung zum Umbrailpass und der diversen öffentlichen Einrichtungen (Gemeindeverwaltung, Regionalspital etc.) aber nicht minder bedeutend. Im Gegensatz zu den anderen Dörfern, welche entweder breite Strassen oder Umfahrungen aufweisen, zwängt sich der ganze Verkehr durch die enge Ortsdurchfahrt – der Bau einer Umfahrung ist seit längerem in Diskussion, scheitert bisher aber vor allem an den Widersprüchen zwischen Ortsbildschutz und Lärmschutz. Im Bild ein 2010 ausrangierter NAW/Hess BH4-23N von PU Bus Val Müstair, Lü, im Einsatz als Beiwagen.
Auch in Valchava ist die Ortsdurchfahrt eng – hier besteht jedoch heute eine Umfahrungsstrasse. Das Postauto fährt trotzdem durch das Dorf und passiert so auch die aus dem Jahr 1460 stammende spätgotische Dorfkirche. Nicht minder sehenswert sind auch die weiteren historischen Häuser im Dorf – dank der Umfahrung konnten im Gegensatz zu anderen Dörfern auch die historischen Vorplätze teilweise erhalten werden.
Nach Valchava folgt die grösste Steilstufe innerhalb des Tals – über eine Zickzack-Strecke erklimmen die Busse bis Fuldera rund 200 Höhenmeter. Im Bild ist ein Fahrzeug als Sportbus auf der Linie 822 unterwegs bergwärts in Richtung Skigebiet Minschuns – diese Linie fährt vormittags dreimal täglich bergwärts und am Mittag und Nachmittag je einmal zurück bis Müstair, um das oberhalb des Tals gelegene kleine Skigebiet anzubinden.
Genauso wie in Valchava verlassen die Postautos auch in Fuldera die Hauptstrasse; hier allerdings aus einem weiteren Grund: Bei der Post beginnen und enden die Kurse der Anschlusslinie ins kleine Lü, dem einzigen der sechs Münstertaler Dorfer, das nicht im Talgrund liegt. Der Setra ist unterwegs nach Mals, der Sprinter hat vor 15 Minuten den Anschluss nach Zernez ermöglicht und wird nun nach Ankunft des Gegenkurses seine Reisenden hoch nach Lü bringen.
Von Fuldera ist es nicht mehr weit nach Tschierv, dem hintersten der fünf Dörfer. Die schattige Lage der ursprünglichen Weiler hat dazu geführt, dass neue Ortsteile an etwas erhöhter Lage entstanden sind: Der Bus hat soeben den historischen Ortskern verlassen (auch dieser mit einer über 500-jährigen Kirche geziert, die überdies über eine über 200-jährige Orgel verfügt) und erreicht in Kürze Orasom Tschierv (frei übersetzt «Untertschierv»). Im Hintergrund rechts der neuere Ortsteil Chasuras, welcher abends deutlich länger in der Sonne steht…
…genauso wie der neuere Ortsteil Süsom Tschierv («Obertschierv»), wo in den nächsten Jahren das Ferienresort «La Sassa» inklusive Gondelbahn ins Skigebiet Minschuns entstehen soll. Hier enden in der Zwischensaison verschiedene Kurse aus Müstair, welche auch ausserhalb der Hauptferienzeiten den ungefähren Stundentakt im Tal sichern. Seit Müstair haben die Busse bis hier (1756 m.ü.M.) bereits rund 500 Höhenmeter zurückgelegt, ohne grosse Bauwerke. Planmässig kreuzen hier auch die Postautokurse, teilweise (und auch hier im Bild) mit einem Fahrerwechsel verbunden. Im Bild sind zwei der über 10 Jahre prägenden Integro zu sehen, welche mit Einführung der Vinschgerbahn am Ofenpass auftauchten – seit 2022 sind diese Busse Geschichte und die Ofenpass-Linie fest in der Hand der Setra 415H. Der Integro links im Bild wird sich in Kürze an die eigentliche Passfahrt machen…
…welche ihn vorbei an den einzigen «echten» Kehren des Ofenpasses nochmals gut 400 Höhenmeter bergwärts bringt.
Parallel dazu fahren im Winter die zweieinhalb Kurspaare des bereits erwähnten «Bus da Sport regiunal» (Regionalen Sportbus), welche bis zum Bau der – aktuell noch wegen Einsprachen zweier kleiner Naturschutzorganisationen blockierten – Zubringerbahn den Anschluss des Tales an das Skigebiet Minschuns sicherstellen. Unweit der Alp da Munt soll die Bahn ankommen – solange das noch nicht so ist, ist der Parkplatz Endstation für den Sportbus.
Mit ein Grund für den Bau der Zubringerbahn sind die bisweilen schwierigen Strassenverhältnisse auf der Naturstrasse zur Talstation des Skiliftes. Die Strecke kann im Winter nicht geräumt werden, was bei «passender» Witterung zu einer recht eisigen und zugleich steilen Strecke führt. Lange Zeit setzte man deshalb auf Hochflurbusse wie diesen O405, inzwischen müssen aber neuere Busse die Strecke bewältigen. In Hintergrund wacht der Piz Daint, einer der anspruchsvolleren Wandergipfel im Tal, über die Szenerie – die Sonne hat die Strasse bereits etwas aufgeweicht und die Bergfahrt stellt sich für einmal recht problemlos dar.
Etwas besser (aber nicht konsequent) wird die eigentliche Passstrasse geräumt, stellt sie doch die einzige Verbindung des Münstertals zur restlichen Schweiz dar. Mit 2149 Metern über Meer stellt der Ofenpass den höchsten ganzjährig bedienten Passübergang im Postautonetz dar (der höhere Julierpass wird zwar im Winter zeitweise bedient, aber mit Pause in der Zwischensaison) – und an Samstagen in der Hochsaison wird nebst den zweistündlichen Postautokursen auch noch mit Beiwagen gefahren. Der Citaro LE, mangels Gepäckraum für die Stammkurse nicht geeignet, ist in dieser «Mission» auf den letzten Metern vor der Passhöhe Süsom Givé unterwegs, noch einmal tut sich im Hintergrund der Blick über das ganze Tal bis Sta. Maria (Müstair liegt hinter einer Linkskurve) auf.
Auf der anderen Seite der Passhöhe geht der Blick über eine kurze Steilstufe hinunter zur Ebene von Buffalora, noch zum Val Müstair gehörend; Mitten in der Ebene quert die Grenze zum Nationalpark die Schwemmebene, die hier der Ofenbach im Lauf der Jahrhunderte abgelagert hat.
Die geographische Lage führt dazu, dass sich in der Ebene von Buffalora regelmässig Kaltluftseen bilden, dank derer der Ort (der nicht mehr als ein Gasthaus und ein Strassenbauamt umfasst) regelmässig zu den kältesten ganzjährig bewohnten Orten der Schweiz zählt – mit Temperaturen unter -30°c. Im Winter 2022/23 war allerdings der Schnee selbst hier oben Mangelware, und so fährt Anfangs März dieser Setra 415H durch das kaum schneebedeckte Ofenbachtal vom Stabelchod hinauf nach Buffalora. Die Strasse führt hier direkt durch den Nationalpark, für den im Winter ein weitgehendes Betretungsverbot mit Ausnahme einiger weniger Skitourenstrecken gilt.
Ein ganz anderes Bild zeigt sich im Sommer im Ofenbachtal: Dann strömen unzählige Wanderer in den Schweizerischen Nationalpark, der hier eher nordisch als alpin wirkt. Die meisten der Gäste reisen für einen Tag von ausserhalb an, gibt es doch nur ein einziges Hotel im Nationalpark: Das in Il Fuorn. Noch vor der Einrichtung des Parks um 1900 erbaut, wird es heute mit einer eigenen Postautohaltestelle bedient und ist Ausgangspunkt für Wanderungen auf den Munt La Schera oder ins Val da Botsch. Der Integro hat gerade die Haltestelle verlassen und fährt nun weiter talwärts in Richtung Punt La Drossa.
Direkt hinter dem Fotografen befindet sich die dortige Zollstation, hinter der ein 3.4 Kilometer langer, einspuriger Tunnel durch den Munt La Schera ins italienische Zollfreigebiet Livigno führt. Im Auftrag von PostAuto bedient seit einigen Jahren der dortige Busbetrieb Silvestri regelmässig Kurse nach Zernez, welche ab hier dieselbe Strecke wie das Ofenpass-Postauto nehmen. Aufgrund der regelmässigen Rückstaus vor dem Lichtsignal-gesteuerten Tunnel ist auf der relativ neuen Brücke über den Ofenpass eine eigene Abbiege-(bzw. Stau-)Spur nach Livigno eingerichtet.
Nach La Drossa beginnt der wohl abenteuerlichste Teil der Ofenpass-Strecke, wo die Strasse gelegentlich auch direkt dem Fels entlang führt. Dort, wo etwas mehr Platz bleibt, wurden Parkplätze angelegt, um die Autoströme in den Nationalpark zu kanalisieren. Die Rückfahrt der Wanderer zu ihren Autos besorgt dann das Postauto, wobei die vielen Billetkäufe oft den Fahrplan gründlich durcheinanderbringen. Dies ist allerdings vor allem auf einigen Nachmittagskursen ein Problem – dieser Mittagskurs, als Fülleistung durch den damaligen Schnellkurs-Wagen GR 536 (Typ MB 0404) bedient, erreicht bei wenig Verkehr und nur mit einer Handvoll Reisenden die Haltestelle Vallun Chafuol.
Bei Ova Spin verlassen die Busse bereits wieder den Nationalpark, der nebst dem Ofenbach-Tal auch noch weitere Engadiner Täler wie das Val Trupchun oder das Val Mingèr umfasst. Hier befindet sich auch der Zugang zu den Spöl-Kraftwerken – der Fluss wird gleich vor dem Eintritt in den Nationalpark gestaut, und direkt nach dem Ende des Parks erneut, dazwischen ein Grossteil des Wassers turbiniert. Das Ausgleichsbecken Ova Spin liegt allerdings weit unterhalb der Strasse, die auch hier durch zunehmend instabilen Fels führt.
In Zernez befindet sich auch das Nationalpark-Zentrum, welches auf dem Areal des Schlosses Planta-Wildenberg errichtet wurde. Die Postautos bedienen dieses mit einer eigenen Haltestelle, bevor sie die letzten Meter zum Bahnhof zurücklegen – oder natürlich nach den ersten Metern wie dieser Setra 415H, der vor einer Minute am Bahnhof zu seiner 2-stündigen Fahrt nach Mals aufgebrochen ist.