Letztes Update: 17. August 2024, 17:50
Während das Münstertal über den Ofenpass ganzjährig an die Schweiz angebunden ist, gibt es einige weitere Linien im Tal, welche nur in der Saison bedient werden. Trotz sehr dünnem Fahrplan sind die Linien auf jeden Fall eine Reise wert. Wir beginnen unsere Fahrt in Müstair, wo heute täglich ein Kurs Richtung Umbrail – Stilfserjoch – Tirano startet. Im Jahr dieser Aufnahme (2007) war man davon noch weit entfernt, und der NAW fuhr an nur drei Tagen hoch zum Stilfserjoch – und nur auf Reservation.
Das war nicht immer so: Noch bis Anfang der 90er-Jahre fuhr ein saisonaler Kurs ab Davos über Flüela-, Ofen- und Umbrailpass zum Stilfserjoch. Die Kurse bogen, genau wie das heutige tägliche Kursfahrzeug, direkt neben der Post Sta. Maria ab zum Pass – und nehmen die erste der vielen steilen Steigungen in Angriff. Dieser Neoplan hat das bereits hinter sich, als er nach einem heftigen Gewitter mit dem Abendkurs wieder den Talboden erreicht.
Das Ziel der Reise ist eine ziemlich illustere Angelegenheit: Stilfserjoch, 2757 Meter über Meer und somit einer der höchsten Pässe. Die Passhöhe ist überbaut mit diversen Hotels und Skischulen, liegt doch hier eines der wenigen aktiven Sommerskigebiete (und gleichzeitig das einzige, das ausschliesslich im Sommer befahrbar ist) europas. So erreichen denn auch (noch) Linienbusse von allen drei Seiten den Pass, hier verbringt neben dem Postauto ein Cacciamali TCI972 des Veltliner Busunternehmers Perego seine nachmittägliche Pause.
Doch zuerst der Reihe nach. Ab Müstair geht die Bergfahrt zuerst einmal durch dichten Nadelwald und in engem Zickzack bergauf; die Strecke ist zwar seit 2014 durchgehend mit Hartbelag versehen, aber immer noch sehr schmal. Eine erste Verschnaufpause gibt es bei Plattatschas, wo die Abzweigung zum „Blockhaus“, einer Alp mit Schaukäserei, gelegentlich Wanderer anlockt.
Weiter geht die Fahrt in Richtung Val Gronda – auch diese Haltestelle, bei der zweiten von drei grösseren Serien von Kehren gelegen, wird vor allem von Wanderern Frequentiert. Wohl schreckt die Reservationspflicht der Kurse den einen oder andern von der Fahrt ab – dank der grenzüberschreitenden PostAuto-Touristen sind die Kurse trotzdem gut ausgelastet (sogar fast zu gut – gelegentlich müssen Fahrgäste abgewiesen werden, da Stehplätze in Italien verboten sind).
In den letzten Kehren vor der Passhöhe wird deutlich, dass die Umbrail-Passstrasse vor über hundert Jahren für andere Gefährte als den 10.8 Meter langen Postauto-Kurswagen erbaut wurde. In Millimeterarbeit bringt der Chauffeur den Bus durch die Kurve – wenn in den letzten Metern davor gekreuzt werden muss, muss meist zweimal angesetzt werden, um den Bus durchzubringen. Für die routinierten Chauffeure ist auch das kein Problem – eine Linie ohne Kehren gibt es im Münstertal ohnehin nicht…
Die erste Hürde ist geschafft: Auf 2543 Metern über Meer liegt die Umbrail-Passhöhe, die gleichzeitig auch die Grenze Schweiz-Italien darstellt. Es ist der höchste befahrbare Passübergang, der das Territorium der Schweiz berührt, und einer der am wenigsten ausgebauten. Trotzdem nicht fehlen darf natürlich das obligate Restaurant – hier heisst es „Astras“ – wo sich die Zweiradfahrer erholen dürfen. Der Bus fährt hingegen direkt weiter und passiert, hier im Vordergrund, den historischen Grenzstein.
Die letzte Steigung auf den Pass wird auf der, ebenfalls mehr als hundertjährigen, Stilfserjoch-Passstrasse in Angriff genommen. Die Strasse, die im ersten Weltkrieg für die hier stattfindende hochalpine Schlacht zwischen Österreich und Italien eine grosse strategische Bedeutung genoss, musste in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen ausgebessert werden – das Teilstück, auf der 2010 diese Aufnahme entstand, musste aufgrund Steinschlag aufgegeben werden. Die Aufnahme entstand wenige Meter vor der Passhöhe.
Seit 2014 fährt das Postauto vom Stilfserjoch aus nicht etwa zurück ins Münstertal – sondern weiter ins Veltlin nach Tirano. PostAuto ermöglicht so unabhängig vom (etwas unberechenbaren) italienischen ÖV eine Rundreise zusammen mit der RhB vom Engadin via Ofenpass, Stilfserjoch und Bernina. In Tirano muss sich der Bus allerdings vorerst mit einem Platz „im Hinterhof“ begnügen, hier aufgezeichnet von Markus Lehmann.
Doch zuerst einmal fährt der Bus bis kurz vor dem Umbrailpass dieselbe Strecke zurück, auf der er schon gekommen ist. Dabei geht der Blick zurück zu den Hotels auf der Passhöhe, und zum fast ewigen Schnee – auch wenn die Wiese immer höher wandert, liegt die Passhöhe auch 2015 noch oberhalb der Vegetationsgrenze in einer eindrücklichen Geröllhalde.
Später wird die Landschaft flacher, und die Busse fahren entlang dem obersten Valle di Braulio. Bei Malga di Bormio liegt die San-Reineri-Kapelle, die den Gefallenen des ersten Weltkrieges gewidmet ist – das stattliche Gebäude daneben, einst ein Hotel, ist heute in Privatbesitz und nicht mehr bewirtet.
Beim Bau der Strasse um 1826 entstanden auf der Veltliner Seite des Passes insgesamt vier „Cantoniere“ – diese Wegposten, vergleichbar mit den aus anderen Gegenden bekannten Relais, sind heute alle erhalten, wenn auch in teils miserablem Zustand. Die zweite der vier Cantoniere (ab Bormio gezählt) markiert das abrupte Ende des oberen Braulio-Tals: Hier bei der so genannten Bocca del Braulio stürzt sich der Talfluss in mehreren Stufen gute vierhundert Meter talwärts…
…was auch von den Strassenbauern einiges an Wagemut erforderte. Die Folge ist eine eindrückliche Serie an Kehren und eine anschliessend in die steilen Geröllflanken gehauene Strasse mit diversen engen Tunnels. Hier ist der Volvo 8700 unterwegs talwärts in Richtung Bormio und Tirano, nach der anstrengenden Tunnelpassage wird der Bus die „Bagni Vecchi“ erreichen, die alten Thermalquellen, die aus Bormio einen weitherum bekannten Kurort machten.
Der ganze Verkehr zu den Pässen und nach Livigno durchquert den Hauptort des oberen Veltlins – die moderne, autobahnähnliche Hauptachse endet kurz vor dem Dorf. So schiebt sich auch der neuste Midibus auf der Linie, der einzige Scania Interlink NBA der Schweiz, durch das städtische Dorf – die Postautofrequenzen halten sich freilich eher in Grenzen, wer ab dem Val Müstair nicht zum Wandern auf den Pass fährt, fährt meist durch bis Tirano für einen Zmittag oder eine Rundreise.
Endstation ist schliesslich der Bushof beim Bahnhof Tirano – eine relativ enge Anlage für die zahlreichen Linienbusse in der Region. So fährt das Postauto direkt nach dem Auslad weiter zum Carparkplatz, wo diverse Gefährte auf die Ankunft ihrer Gruppen mit dem Bernina-Express warten.
Im Vergleich zur Umbrail-Linie wirkt hingegen die zweite touristische Linie im Tal fast etwas banal – über kaum fünf Kilometer führt sie ab Fuldera und Valchava ins Val Vau. Im Gegensatz zur Umbrail-Linie hat sie den Sprung vom lokalen „Sonderangebot“ des Tourismusvereins zur regulären Linie nie geschafft, und fährt weiterhin nur einmal pro Woche und auf Voranmeldung – so kann auch bestimmt werden, wann statt dem Kleinbus ein „grosses“ Postauto (2007 noch ein NAW) nötig ist…
Denn eigentlich bietet die Linie für solche stattlichen Vehikel kaum Platz. Die Alpstrasse ist selten breiter als 3 Meter, und im Gegensatz zur inzwischen durchgehend geteerten Umbrail-Strasse ist ein Hartbelag hier nicht vorhanden. Entsprechend staubig ist der NAW, als er seine Fahrgäste am Ende der Strasse ausgeladen hat und auf die Rückfahrt wartet – die meisten Wanderer sind inzwischen daran, den Laj da Rims zu erklimmen, welcher als „schönster Bergsee der Schweiz“ gilt.